
Prof. Dr. Micheal Perkams (links) und Prof. Dr. Holger Cartarius
Foto: Anne Günther (Universit?t Jena)Was zeichnet das Lehramtsstudium an der Universit?t Jena aus?
Das Lehramtsstudium an der Universit?t Jena schlie?t mit dem ersten Staatsexamen ab. Kernstück und Besonderheit des Jenaer Modells der Lehrerbildung ist ein frühes Praxissemester, das bereits im dritten Studienjahr erste Unterrichtserfahrungen an Schulen erlaubt. Gleichzeitig werden die Studierenden an den Schulen durch erfahrene Lehrkr?fte eng betreut und reflektieren ihre ersten Praxiserfahrungen in den universit?ren Begleitseminaren.
Die tragende Rolle des Praxissemesters schl?gt sich in der gesamten Struktur des Jenaer Modells der Lehrerbildung nieder: Um dieses zu einem frühen Zeitpunkt zu erm?glichen, werden bereits in den ersten Semestern substanzielle Anteile der Bildungswissenschaften und der Fachdidaktiken in den Studienplan eingebracht. An vielen Universit?ten setzen diese Anteile erst sp?ter ein, dafür erhalten in Jena die Fachinhalte einen bedeutenderen Anteil in den h?heren Semestern.
Das Praxissemester wird mit universit?ren Lehrveranstaltungen begleitet, in denen es ebenfalls eine enge Kooperation mit den Thüringer Schulen gibt. Diese stellen teilweise abgeordnete Lehrkr?fte, die in den Begleitseminaren aktiv werden. Das ZLB vernetzt sich über seine aktive Gesch?ftsstelle ferner eng mit dem Studienseminar Thüringen und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM). Kurz zusammengefasst kann man also sagen, dass das Jenaer Modell bereits sehr früh im Studium alle Aspekte der ersten, universit?ren Phase der Lehrerbildung abdeckt und eng mit den beiden anderen Phasen, dem Vorbereitungsdienst und der Weiterbildung von Lehrkr?ften, zusammenarbeitet.
Die Staatsexamensstudieng?nge zeichnen die Universit?t Jena auch innerhalb Thüringens aus, denn sie bilden einen anderen Weg ins Lehramt, als ihn die Universit?t Erfurt anbietet. Dort wird ein Bachelor-Master-Modell mit einer Fokussierung auf das Fachstudium in den frühen Semestern und einer sp?ten Praxisphase verfolgt. Die Universit?t Jena bietet zudem das mit Abstand breiteste Spektrum an Lehramtsf?chern in Thüringen an, deckt auch die Naturwissenschaften mit deren notwendigen aufwendigen Laborpraktika ab und erm?glicht neben dem Studium für das Lehramt an Regelschulen auch das Studium für das Lehramt an Gymnasien.
Wie hat sich der Beruf des Lehrers bzw. der Lehrerin in den vergangenen Jahrzehnten ver?ndert und vor welchen neuen Herausforderungen stehen die Lehrkr?fte im modernen Schulalltag?
Die Anforderungen an Lehrkr?fte haben sich in fast allen Bereichen ihrer T?tigkeit gewandelt. Einerseits werden die fachlichen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer st?ndig dem Stand der Wissenschaft angepasst und immer genauer definiert. Dies garantieren vor allem die l?ndergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken der Kultusministerkonferenz (KMK), die regelm??ig modernisiert werden, zuletzt im Februar dieses Jahres. Auch die KMK-Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sowie die allgemeine Hochschulreife werden regelm??ig neu gestaltet. Einige F?cher mussten daher ihre Fachinhalte in den letzten Jahren überprüfen und in manchen Gebieten sogar ausweiten.
Andererseits haben sich die Rahmenbedingungen sehr gewandelt. Die Schülerschaft wird heterogener, die Inklusion genie?t heute einen sehr hohen, berechtigten Stellenwert und eine strikte Trennung von Schularten, wie es sie früher gab, existiert immer seltener. Immer mehr tritt ein Arbeiten in multiprofessionellen Teams in den Vordergrund. Die Digitalisierung führt zu einem Wandel der Bildungsprozesse und stellt Lehrkr?fte vor neue methodische Herausforderungen. Dies schl?gt sich auch in den ?KMK-Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ und der gemeinsamen Empfehlung ?Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt“ der Hochschulrektorenkonferenz und der KMK nieder.
Mit der Reform des Regelschullehramtsstudiums an der Uni Jena sollen die Kompetenzbereiche Inklusion, Multiprofessionalit?t und digitale Lernkultur gest?rkt werden. Wie tr?gt die St?rkung dieser drei Kompetenzbereiche zu einer verbesserten Vorbereitung auf die Schulwirklichkeit bei?
Die Studierenden erlangen durch die Reform der Jenaer Lehrerbildung vertiefte Kompetenzen auf allen drei Gebieten. ?Entscheidend ist dabei, dass dies auch Thema in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen der Universit?t Jena und dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) war. So standen die Ressourcen zur Verfügung, drei neue Professuren in den Bildungswissenschaften einzurichten. Alle drei Themenfelder k?nnen nun durch eine eigene Expertise an der Universit?t abgedeckt werden.
Das Lehramt Regelschule wurde in der Reform um ein komplettes Semester, also um 30 Leistungspunkte, aufgewertet. Da jeder der drei Kompetenzbereiche nun im Umfang von 5 Leistungspunkten im Studium verankert ist, erhalten alle Studierenden im Lehramt Regelschule eine ausführliche bildungswissenschaftliche Vorbereitung auf ihre zukünftigen Aufgaben, die zudem durch ein Pflichtmodul in Deutsch als Zweitsprache erg?nzt wird. Es wird also eine umfassende und gezielte Vorbereitung auf die aktuellen Herausforderungen des Schulbetriebs angeboten.
Dabei bleibt es allerdings nicht. Das überarbeitete Studium zum Lehramt an Regelschulen sieht n?mlich auch vor, dass die Prüfungsf?cher, also die sp?teren Unterrichtsf?cher der angehenden Lehrkr?fte, ebenfalls um 5 Leistungspunkte aufgewertet werden, um die neuen bildungswissenschaftlichen Inhalte aus ihrer Perspektive zu vertiefen. Manche F?cher haben neue fachdidaktische Module zum inklusiven und/oder digitalen Fachunterricht eingeführt, und in anderen haben diese Aspekte Anknüpfungspunkte in den Fachwissenschaften.
Insgesamt wurde darauf geachtet, dass die Absolventen und Absolventinnen des Lehramtsstudiums eine m?glichst gute Vorbereitung auf die Herausforderungen des zukünftigen Schulalltags mitbringen. Sie setzen sich bereits im Studium mit Aspekten der Inklusion auseinander, erhalten Kompetenzen im differenzierten (Fach-)Unterricht, lernen, was p?dagogische Beratung ist, und wissen, wie digitale Medien lernf?rderlich eingesetzt werden.
Das Studium für das Lehramt an Regelschulen verl?ngert sich um ein Semester. Wird es dadurch nicht unattraktiv??
Im Vordergrund der Reform steht die Steigerung der Attraktivit?t durch die Abdeckung der neuen Kompetenzbereiche. Es ist also nicht so, dass das Studium einfach nur l?nger wird. Die Studierenden erhalten zus?tzliche Bildungsinhalte, die im sp?teren Berufsweg Lasten abnehmen werden. Nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass es das zehnsemestrige Studium zum Lehramt an Regelschulen in Thüringen bereits vorher in Erfurt gab. An der Universit?t Jena konnten wir nun im zeitlichen Umfang nachziehen und die neuen Inhalte unterbringen.?
Es kann selbstverst?ndlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Verl?ngerung einen Einfluss auf die Studienwahl hat. Das Studium zum Lehramt an Regelschulen ist jetzt genauso lang wie das zum Lehramt an Gymnasien, mit dem man ebenfalls an Regelschulen in Thüringen t?tig werden kann, das jedoch auch weitere M?glichkeiten bietet. Die Attraktivit?t der neuen Inhalte muss also von einer Attraktivit?tssteigerung des Berufs der Lehrkraft an Regelschulen begleitet werden.
Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass die nur im Studium zum Lehramt an Regelschulen vorhandenen Freir?ume für eine ausführliche Behandlung der drei zus?tzlichen Kompetenzbereiche, des Bereichs Deutsch als Zweitsprache und der systematischen Erg?nzung in den Prüfungsf?chern auf Studieninteressierte attraktiv wirkt. ?Das Studium zum Lehramt an Gymnasien leistet im Gegensatz dazu die von der Kultusministerkonferenz geforderte Vertiefung in den Fachwissenschaften für ein Gymnasiallehramt. Hier besteht also die M?glichkeit, sich bewusst nach den eigenen inhaltlichen Interessen zu entscheiden, und diese Wahlfreiheit ist in jedem Fall attraktiv.
Zitat und Foto von Helmut Holter
Foto: Steve BauerschmidtDer Anteil nicht muttersprachlicher Kinder steigt in den vergangenen Jahren auch an den Thüringer Schulen. Gibt es Angebote an der Uni Jena, die den zukünftigen Lehrkr?ften dabei helfen, mit den daraus entstehenden Herausforderungen besser umzugehen?
Bereits vor der aktuellen Reform war es m?glich, das Drittfach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache zu studieren. Mit diesem konnte und kann Deutsch als Zweit- und Fremdsprache nach dem Praxissemester als drittes Unterrichtsfach im Studium hinzugenommen und mit der Erweiterungsprüfung abgeschlossen werden.
Der Jenaer Lehrerbildung war es jedoch wichtig, dass grundlegende Kompetenzen im Umgang mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, allen zukünftigen Lehrkr?ften an Regelschulen vermittelt werden. Daher wurde in gemeinschaftlichen Diskussionen im ZLB beschlossen, zus?tzlich zu den drei Kompetenzbereichen Inklusion, Multiprofessionalit?t und digitale Lernkultur auch Deutsch als Zweitsprache in die Reform aufzunehmen, und Inhalte dazu im Umfang von 5 Leistungspunkten im Pflichtbereich des Studiums zu verankern. Die Universit?t Jena erbringt dafür eine substanzielle finanzielle Eigenleistung.
Sind Lehrveranstaltungen in diesen drei Bereichen auch für angehende Gymnasiallehrer und -lehrerinnen offen?
Ja, das sind sie. Es wird nicht nur das Studium zum Lehramt an Regelschulen reformiert, sondern auch das zum Lehramt an Gymnasien. Dieser Teil der Reform befindet sich aktuell in der Umsetzung.
Bereits in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen war eine ?ffnung der zus?tzlichen Kompetenzbereiche für das Lehramt an Gymnasien vorgesehen. Anschlie?end wurde die Erwartung an die Universit?t herangetragen, dass sich das strukturell im Studium durch eine Aufwertung des Umfangs der Bildungswissenschaften niederschlagen muss. Entsprechend früh, n?mlich in einer Klausurtagung der Jenaer Lehrerbildung zur Lehramtsreform im November 2021, hat sich im Gespr?ch zwischen Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und Fachwissenschaften herauskristallisiert, dass diese ?ffnung in einem übergreifenden Wahlpflichtbereich zwischen den Bildungswissenschaften und den Prüfungsf?chern liegen kann. Ein solcher Bereich wurde dann auch vom Pr?sidium der Universit?t und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) favorisiert, in den Gremien der Jenaer Lehrerbildung beraten und traf im Wintersemester 2022/23 auf die Zustimmung des Lehrerbildungsausschusses. Da jedoch zun?chst die Reform des Studiums zum Lehramt an Regelschulen im Vordergrund stand, erfolgt die Umsetzung erst jetzt.
Der übergreifende Wahlpflichtbereich sieht vor, dass sich Studierende im Lehramt Gymnasium entscheiden k?nnen, fünf Leistungspunkte aus jedem der beiden Prüfungsf?cher in zus?tzliche bildungswissenschaftliche Inhalte zu investieren. Ihnen steht also die Wahl zwischen einem Modul aus dem Angebot des Prüfungsfachs oder einem Modul aus dem Angebot der Bildungswissenschaften offen. Das gibt den Bildungswissenschaften den Freiraum, die neuen Kompetenzbereiche auch im Studium zum Lehramt an Gymnasien unterzubringen – und das übrigens nicht nur im Wahlpflichtbereich, sondern auch im Pflichtangebot. Teile der Bildungswissenschaften, die nun als eigenes Fach gez?hlt werden, wurden dazu grundlegend neu gestaltet.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach noch ?ndern in den kommenden Jahren?
Für unser Studium an der Universit?t Jena ist es jetzt vor allem erst einmal wichtig, dass wir beobachten, wie sich die Reformen in der Praxis bew?hren. Trotzdem steht die Lehrerbildung in Thüringen weiterhin vor gro?en Herausforderungen. Bereits jetzt und sicher noch einige Jahre lang wird vor allem das Lehramt an Regelschulen auf Seiteneinsteigende angewiesen sein. Das trifft allerdings in einigen Unterrichtsf?chern auch auf das Lehramt an Gymnasien zu. Hier gilt es, in Abstimmung mit dem TMBJS ad?quate Wege zu finden, wie schnell auf den Bedarf der Schulen eingegangen und trotzdem eine ausreichende Qualit?t abgesichert werden kann. Ein Vorankommen in diesem Spannungsfeld ist nicht einfach. Spezielle Studienprogramme für die F?cher Chemie und Physik im Lehramt an Regelschulen, die die Universit?t in kürzester Zeit zusammen mit den beiden Fachgebieten ausgearbeitet und angeboten hat, kamen leider nicht zustande. Die Gesch?ftsstelle des ZLB setzt sich jedoch sehr dafür ein, dass am Seiteneinstieg interessierte Personen kompetent beraten werden. Dies erfordert bei den vielen Anlaufstellen an den Studienseminaren, dem TMBJS und an der Universit?t, an die Interessierte sich wenden, eine gro?e Kraftanstrengung.
Alternative Wege zum Lehramt als das klassische Zwei-F?cher-Hochschulstudium mit anschlie?endem Referendariat werden schon einige Jahre diskutiert und in einigen Bundesl?ndern umgesetzt. Die Kultusministerkonferenz hat erst kürzlich Ma?nahmen zur strukturellen Erg?nzung der Lehrkr?ftebildung beschlossen. Auch die Universit?t Jena hat die Initiative ergriffen und ist mit dem TMBJS im Gespr?ch darüber. Das Angebot eines Ein-Fach-Lehramtsstudium in ausgew?hlten F?chern erscheint aktuell bei uns am vielversprechendsten. Die ?berlegungen zum Einfach-Lehramt sollen bald durch eine universit?re Arbeitsgruppe weiter vorangetrieben werden.
Nicht zuletzt m?chte die Universit?t Jena für Studierende aus dem ganzen Bundesgebiet attraktiv sein. Diese Attraktivit?t ist in manchen F?chern aktuell nicht gegeben, da durch die F?cherkombinationsvorschriften in Thüringen Kombinationen ausgeschlossen sind, die an anderen Universit?ten studiert werden k?nnen. Gespr?che, die Vorschriften zu lockern, laufen, und wir hoffen, dass sich bald eine konkrete L?sung herauskristallisieren wird.
Semmelweisstr. 12
07743 Jena