Anlage 3: Petersens Wirken in der Nachkriegs- und SBZ-Zeit
Nach dem Untergang des NS-Regimes und dem Ende des verheerenden Krieges ging es um Entnazifizierung und die ?berwindung der Folgen der NS-Zeit, um den materiellen und geistigen Wiederaufbau und um die gesellschaftliche Neuordnung im besetzten Vierzonen-Deutschland. Das schloss die bildungs-, schul- und hochschulpolitische Neuordnung ein. Die Schulen und Hochschulen waren in allen Besatzungszonen zun?chst geschlossen. Erst seit Ende 1945 konnten sie ihren Schul- und Lehrbetrieb schrittweise wieder aufnehmen. Der Schulunterricht begann im Herbst 1945. Die Universit?ten wurden zwischen September/Oktober 1945 (G?ttingen, Tübingen, Jena) und Juli 1946 (München) wieder er?ffnet. Die Jenaer Universit?t geh?rte so trotz erheblicher Zerst?rungen zu den am frühesten wiederer?ffneten Universit?ten und konnte als erste Universit?t der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im Dezember 1945 ihren Lehrbetrieb aufnehmen. Wie an den meisten Universit?ten wurden die ehemaligen NSDAP-Mitglieder im Lehrk?rper - in Jena waren das im Wintersemester 1944/45 63,5 % - für den Lehrbetrieb zun?chst nicht wieder zugelassen.
???? Als Nicht-NSDAP-Mitglied genoss Petersen in der unmittelbaren Nachkriegszeit das Vertrauen der - zun?chst amerikanischen, seit Juli 1945 dann sowjetischen - Besatzungsinstanzen und der von ihnen eingesetzten deutschen Verwaltungen. Er konnte so als kommissarischer Dekan der Philosophischen Fakult?t bei der frühen Wiederer?ffnung der Jenaer Universit?t eine ma?gebliche Rolle spielen. Der von der amerikanischen Besatzungsmacht ernannte Regierungspr?sident der Provinz Thüringen - der Sozialdemokrat, verfolgte NS-Gegner und Buchenwald-H?ftling Hermann Brill - beauftragte Petersen, den Fr?bel-Kindergarten in die Erziehungswissenschaftliche Anstalt zu integrieren. Mit dem ebenfalls von den Amerikanern eingesetzten Regierungs- bzw. Landesdirektor, seit Ende 1946 Minister für Volksbildung - dem Kommunisten, verfolgten NS-Gegner und Buchenwald-H?ftling Walter Wolf - arbeitete Petersen 1945/46 eng zusammen. Im Februar 1946 schloss sich Petersen der SPD an und wurde mit ihr im April 1946 SED-Mitglied. Sein Gestaltungswille nach 1945 orientierte sich an internationalen Vorbildern wie im Rückgriff auf die Weimarer Zeit. Dabei war Petersen bestrebt, seine p?dagogischen Ideen und sein Schulmodell in der SBZ wie im Ma?stab aller Besatzungszonen zur Geltung zu bringen.
??? ??Ende Juli 1945 teilte Wolf dem amtierenden Rektor mit, dass der Verwaltungschef der sowjetischen Milit?rregierung für Thüringen den auf die Ma?nahmen der "?ra Greil" (1921/23) zurückgreifenden "Petersenplan zur Neugestaltung der Lehrerausbildung für Volks- und H?here Schulen an der Universit?t Jena" grunds?tzlich gebilligt habe. Ende 1945 wurde Petersen Dekan der von ihm neu gebildeten Sozialp?dagogischen Fakult?t der Jenaer Universit?t. Sie war die erste ihrer Art an einer deutschen Universit?t. Damit konnte Petersen ein in der "?ra Greil" konzipiertes und damals gescheitertes Vorhaben verwirklichen. Im Sommer 1946 lobte Petersen die neuen Schulgesetze der SBZ-L?nder als wichtige Grundlagen zur Demokratisierung der deutschen Schulen und als Erfüllung der p?dagogischen Forderungen zweier Generationen, die nach 1918 von reaktion?ren Kr?ften verhindert worden waren. 1945/46 entwickelte Petersen in Halle und Jena weitgehende Universit?tsreformpl?ne, die an seine ?berlegungen Ende 1944 anknüpften und dem bildungsbürgerlichen Ideal der deutschen Nation als Bildungs- und Kultureinheit verpflichtet blieben. In Bremen engagierte er sich 1947/48 für das Projekt einer an angels?chsischen und skandinavischen Vorbildern ausgerichteten "欧洲杯投注地址_明升体育-竞彩足球比分推荐en Universit?t" mit den Kernbereichen "Gesellschaft, Erziehung und Religion". In einer Denkschrift für den Bremer Senat schlug Petersen den Namen "Leibnitz-Universit?t" vor,? in dem er die europ?ischen Prinzipien der Aufkl?rung und 欧洲杯投注地址_明升体育-竞彩足球比分推荐it?t verk?rpert sah. Freilich scheiterten dieses Projekt und seine angestrebte Berufung nach Bremen.
???? Bei all diesen Aktivit?ten sa? Petersen die "unbew?ltigte Vergangenheit" seiner NS-Zeit im Nacken, die er wie die meisten seiner Kollegen beschwieg oder mit der damals weit verbreiteten Methode des Tilgens bzw. ?berklebens verf?nglicher Stellen "entsorgen" zu k?nnen glaubte. Schon Ende 1945 warf der einstige Vorsitzende des Bundes entschiedener Schulreformer Paul Oestreich in einem offenen Brief Petersen "Charakterwendigkeit" und den Verrat früherer Ideale vor. Petersen habe sich durch sein Verhalten in der NS-Zeit selbst diskreditiert und das Recht verwirkt, eine führende Rolle beim geistigen, bildungs- und schulpolitischen Neuaufbau Deutschlands zu spielen. Im Kontext des Bremer Universit?tsprojektes kritisierte der aus Hitler-Deutschland emigrierte Schulreformer - nun bildungspolitischer Mitarbeiter der amerikanischen OMGUS[1]-Beh?rde in Westberlin - Fritz Karsen die pronazistischen Schriften Petersen aus der NS-Zeit (und seine SED-Mitgliedschaft) scharf. Er hielt Petersen wegen dieser Schriften für so belastet, dass dessen Mitarbeit am Bremer Projekt "nicht wünschenswert" sei. Auch innerhalb der SED drehte sich der Wind, je mehr sich die deutschlandpolitische Lage zuspitzte, die Situation in der SBZ versch?rfte und die Vertreter einer marxistischen P?dagogik zum Zuge kamen, die Petersens Schul- und Ideenwelt als Fremdk?rper und Hindernis für die von ihnen angestrebte Schule betrachteten. 1947 endete das Zweckbündnis zwischen Petersen und Wolf, den seine eigene Partei zum Rücktritt als Minister zwang. Er sollte dann an Petersens Fakult?t rasch habilitiert werden, um an der Universit?t eine neue Sozialwissenschaftliche Fakult?t aufzubauen. Angesichts ablehnender Gutachten weigerte sich die von Petersen geleitete Fakult?t und pochte auf akademische Standards. Das führte zum Bruch mit Wolf und zum Konflikt mit der neuen Volksbildungsministerin Marie Torhorst. Im Ministerium trug der kommunistische Schulpolitiker, ehemalige KZ-H?ftling und Petersen-Gegner Johannes Brumme, mit dem Petersen im Konflikt über dessen Lehrauftrag lag, "nazistisch belastendes Material" über ihn zusammen. Im Umfeld der zonalen Volksbildungsverwaltung erstellte Gutachten kritisierten Petersens Methoden, seine Schriften aus der NS-Zeit stillschweigend zu "s?ubern".
???? 1948 geriet Petersen in die Mühlen der Universit?tskrise, repressiver Politik und einer eskalierenden Kampagne gegen "bürgerliche Professoren". Er wurde zunehmend ausgegrenzt und schlie?lich entmachtet. Im Oktober 1948 musste er als Dekan der Sozialp?dagogischen Fakult?t zurücktreten, die in P?dagogische Fakult?t umbenannt wurde. Im Februar 1949 beriet die "SED-Dozentenfraktion" dieser Fakult?t über eine Strategie gegen Petersen und seinen Mitarbeiter Hans Mieskes mit dem Ziel, die "Universit?tsschule zu vernichten" und den "Nimbus Petersens" zu zerst?ren. Von Petersens Rolle in der NS-Zeit war in diesem Zusammenhang keine Rede mehr. Jetzt ging es nur noch um Petersens P?dagogik und sein Schulmodell aus der Weimarer Zeit. Die Universit?tsschule wurde vom Ministerium "überprüft". Der Bericht vom November 1949 bescheinigte ihr das Fehlen jeglicher systematischer Arbeit und administrativer Vorschriften. Das politische Leben an dieser Schule sei "gleich Null". Stattdessen werde auf Geburtstagsfeiern der Kinder und auf H?ndedruck beim Kommen und Gehen Wert gelegt. Zur "Behebung der Missst?nde" wurde die Schule direkt dem Ministerium unterstellt und im Sommer 1950 dann als "reaktion?res, politisch sehr gef?hrliches ?berbleibsel aus der Weimarer Republik" (Torhorst) geschlossen. Petersens "P?dagogisches Manifest" für den schulpolitischen Neuaufbau vom Sommer 1946 sei nun nicht mehr tragbar. Zu Beginn des Sommersemesters 1951 wurde auch Petersens Erziehungswissenschaftliche Anstalt aufgel?st und in zwei Institute für theoretische und praktische P?dagogik umgewandelt.
???? Petersens Verhalten in der NS-Zeit spielte bei all diesen Ma?nahmen keine Rolle. Petersen selbst trat im Mai 1948 aus der SED wieder aus. 1949 schrieb er sein letztes, erst 1954 in der Bundesrepublik ver?ffentlichtes Buch "Der Mensch in der Erziehungswirklichkeit". In ihm setzte sich Petersen auf seine Art mit dem NS-Regime auseinander, das den "Nationalsozialismus zum teuflischen Nazismus" pervertiert, das deutsche Volk ins Unglück gestürzt und das Gegenteil dessen erreicht habe, was einst beabsichtigt worden sei. Dazu z?hlte Petersen auch ein "rassisch verunreinigtes deutsches Volk". Das war sicher nicht im biologistisch-"rassenhygienischen" Sinne der NS-Praktiken, sondern eines mit Bildung verbundenen Rasse-Begriffs gemeint, aber dennoch ein beklemmendes Zeugnis für die anhaltende geistige Bindung an "rassische" Denkkategorien bei einem Mann, dessen p?dagogisches Denken ganz anderen Zusammenh?ngen entstammte - und ein deutlicher Beleg gegen die schon von Petersen selbst wie von seinen sp?teren Verehrern stilisierte Legende vom "Opfer" der NS-Zeit und geistigen "Widerstandsk?mpfer". 1952 starb Petersen in Jena. Beigesetzt wurde er in seinem Heimatort bei Flensburg.
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[1] Office of Military Government United States.